Der UNESCO-Welterbetitel ist ein Ritterschlag. Er zeichnet Orte aus, die für die Menschheit besonders wertvoll, einmalig und dadurch unersetzlich sind. 52 Natur- und Kulturerbestätten in Deutschland tragen das begehrte Zertifikat. Doch wie zugänglich ist das Welterbe für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen? Die Arbeitsgemeinschaft Leichter Reisen, die zehn Städte und Regionen vereint, die sich für barrierefreien Tourismus in Deutschland engagieren, stellt die spannendsten Möglichkeiten, in diesem Sommer heimisches Welterbe zu entdecken, vor.

Erfurt: Jüdisch-Mittelalterliches Erbe

Über Jahrhunderte war das Jüdisch-Mittelalterliche Erbe in Erfurt fast vergessen. Die Wiederentdeckung begann erst in den 1980er Jahren. Die Historikerin Rosita Peterseim suchte damals in historischen Quellen und alten Bauakten nach einer mittelalterlichen Synagoge.

Unter abenteuerlichen Umständen entdeckte sie tatsächlich die Türgewänder der Synagoge und einen Teil einer Fensterrose. Das Gotteshaus war nach dem Pogrom von 1349, bei dem die jüdische Gemeinde ausgelöscht wurde, über die Jahrhunderte überbaut worden, diente als Lager und Gastwirtschaft.

Heute gilt die Alte Synagoge im Herzen der Stadt als älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa. Teile der Westfassade stammen aus dem elften Jahrhundert. Seit 2023 ist das Bauwerk UNESCO-Welterbe.

Welterbe barrierefrei: Gemeinsam einmalige Orte in Deutschland entdecken
Erfurter Schatz

Als barrierefreies Museum erzählt es die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Erfurt. Höhepunkt der Dauerausstellung ist der Erfurter Schatz, bestehend aus einem jüdischen Hochzeitsring, Silberbarren, Silbermünzen und Schmuck, der erst 1998 bei Bauarbeiten zu Tage kam.

Ein Tipp ist die für Rollstuhlfahrer geeignete, öffentliche Führung, die jeweils sonnabends und sonntags 10:15 Uhr startet. Für Menschen mit Sehbehinderungen gibt es einen Audioguide. Menschen mit Hörbehinderung können sich für Führungen mit FM-Anlagen anmelden.

Ebenfalls zum Welterbe-Titel gehören eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad aus dem zwölften Jahrhundert sowie das Steinerne Haus, ein jüdisches Wohnhaus aus dem zwölften bis 13. Jahrhundert.

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Die nach Reisen für Alle ausgezeichnete Mittelalterliche Mikwe ist nur während einer Führung zu besichtigen. Diese werden auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, mit kognitiven Beeinträchtigungen sowie Seh- und Hörbehinderungen angeboten.

Fränkisches Seenland: Grenzen des Römischen Reiches

Quer durch das heutige Süddeutschland verlief vor fast 2000 Jahren die Außengrenze des Römischen Reichs, 550 Kilometer lang und klar definiert durch einen Grenzwall mit Kastellen, Wachttürmen, Mauern und Holzpalisaden: der Obergermanisch-Raetische Limes.

Der Großteil der Bauten ist schon seit dem Mittelalter verschwunden, doch das, was noch immer von dem antiken Megaprojekt in der Landschaft zu sehen ist, ist heute Europas größtes Bodendenkmal – und seit 2005 UNESCO-Welterbe. E

in Teil der Grenzbefestigung verlief durch das Gebiet des heutigen Fränkischen Seenlands, südlich von Nürnberg. In den Orten Weißenburg und Ruffenhofen wird die römische Besatzungsgeschichte in barrierefreien Museen lebendig www.fraenkisches-seenland.de/roemer/erzählt.

Wie lebten die Soldaten am Limes? Wie sah der Alltag ihrer Familien im Lagerdorf aus? Davon berichtet das Römermuseum in Weißenburg.

Welterbe barrierefrei: Gemeinsam einmalige Orte in Deutschland entdeckenHier ist auch der im Jahr 1979 zufällig entdeckte Sensationsfund “Weißenburger Schatz” zu sehen, dazu gehören Götterfiguren aus Bronze, Votivtafeln und Paradeausrüstungsteile.

Im Erdgeschoss informiert das Bayerische Limes-Informationszentrum über die Welterbestätte. Alle Ausstellungsbereiche sind mit dem Fahrstuhl zu erreichen, die angebotenen Führungen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen geeignet.

Nur zwei Jahre vor dem spektakulären Fund des Weißenburger Schatzes entdeckten Bauarbeiter am Rande der Stadt Römische Thermen. Über mit dem Rollstuhl befahrbare Stege lassen sie sich von oben betrachten. Ein Film zeigt, wie die Thermen einst ausgesehen haben könnten. Was die Badegäste beschäftigte, erzählt “Livia”, die Frau des Thermenpächters bei der barrierefreien Führung “Badegeflüster”.

Im barrierefreien Limeseum in Ruffenhofen begleitet der “römische Reitersoldat December” die Besucher durch die Ausstellung. Daneben lädt der Römerpark, dessen Wege ebenfalls mit dem Rollstuhl befahrbar sind, zur Rundtour ein: Der archäologische Park, an dessen Stelle einst ein Reiterkastell stand, zeigt das Modell eines Kastells sowie ein Römerhaus mit Garten.

Ostfriesland: Wattenmeer

Im Nordwesten Deutschlands, in Ostfriesland, formten Ebbe und Flut über Jahrtausende eine der fruchtbarsten Naturlandschaften der Erde: das Wattenmeer.

Mehr als zehntausend Tier- und Pflanzenarten, darunter Seehunde, Muscheln und Strudelwürmer, sind hier heimisch. Zehn Millionen Zugvögel legen, angelockt vom reichhaltigen Nahrungsangebot, im Frühling und Herbst hier eine Zwischenstation ein. Seit 2009 gehört der einmalige Lebensraum zum UNESCO-Weltnaturerbe.

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Wattführer Joke Pouliart

Der Sommer ist die beste Zeit, das Welterbe auf barrierefreien Wattwanderungen zu erkunden. Bei Ebbe nehmen Nationalparkführer Interessierte mit ins Watt, um Wattwürmer und Sandkrabben aufzuspüren.

Mithilfe eines Wattmobils mit breiten Ballonreifen können sogar Menschen mit Mobilitätseinschränkungen teilnehmen. Geführte barrierefreie Touren gibt es sowohl auf dem Festland als auch auf den Ostfriesischen Inseln.

Ein Tipp sind die WWF-Birdwatching-Erlebnistouren mit Joke Pouliart vom Wattwanderzentrum Ostfriesland in Carolinensiel-Harlesiel. Der Nationalparkführer stellt sich individuell auf die Bedürfnisse der Teilnehmer ein.

Wissenswertes zum Weltnaturerbe vermitteln auch die 14 nach Reisen für Alle ausgezeichneten Nationalpark-Häuser. Ein Höhepunkt ist das Nationalpark-Haus mit Seehundstation in Norden-Norddeich. Hier werden verwaiste Seehunde aufgenommen und auf ihre Rückkehr ins Meer vorbereitet.

Mehr über die barrierefreien Angebote der drei Urlaubsziele ist auf der Website der AG Leichter Reisen zu erfahren.

Über Leichter Reisen:

Zehn deutsche Urlaubsregionen und Städte haben sich seit 2008 zur Arbeitsgemeinschaft Barrierefreie Reiseziele in Deutschland (seit 2018: Leichter Reisen) zusammengeschlossen. Gemeinsam leisten sie Pionierarbeit bei der Entwicklung von Reiseangeboten für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, mit Hör-, Seh- und Lernbehinderungen, für Gehörlose und Blinde sowie für Familien und Senioren.

Zu den Mitgliedern gehören die Regionen Eifel, Ostfriesland, Sächsische Schweiz, Südliche Weinstraße, das Fränkische, Lausitzer und Ruppiner Seenland, außerdem die Städte Erfurt, Magdeburg und Rostock.

Seit 2008 arbeitet die Arbeitsgemeinschaft eng mit der Deutschen Bahn AG (DB) zusammen. Im Rahmen dieser Kooperation entstanden individuelle Mobilitätspakete bzw. Reiseangebote, welche auf die Wünsche und Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Urlauber abgestimmt sind.

 

Fotos: Ostfriesland_Langeoog_©DZT_Jens_Wegener / Erfurter Schatz ©Thüringisches_Landesamt_CC_BY-NC-ND / ©Fraenkisches_Seenland / ©Schillig-Wattmobil Ostfriesland-Wattfuehrer_Joke_Pouliart_OTG

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