Zu den hitzig erörterten ­Gretchenfragen der ­gehobenen Weinkultur zählt das ­Wein dekantieren, also das Umfüllen des Weins von der Flasche in eine ­Karaffe. Und dies sollte möglichst mit Sinn und Stil erfolgen.

Technisch ist es keine Affäre. Nebst einer ruhigen Hand bedarf es eines klaren Auges. Doch schon die Grundfrage, ob ein Wein überhaupt dekantiert werden soll, scheidet die Gemeinde.

Die eine Fraktion lehnt das Dekantieren kategorisch als überflüssige Show ab. Vertreter der anderen Gruppe tun es mit geradezu religiöser Inbrunst und gießen den Inhalt jeder Flasche, der sie habhaft werden, um. Sofern es eine Wahrheit gibt, liegt sie zwischen den Extremen.

Mit starren Regeln lässt sich sowieso nicht dekantieren. Man muss Erfahrung haben und wissen, welchem Wein wie viel Luftdusche zuzumuten ist.

Als Faustregel gilt: Je jünger und robuster der Wein ist, desto mehr Sauerstoff benötigt er.

Bei leichten Rotweinen ist das Dekantieren ebenso überflüssig wie bei Rosés. Fruchtprotze, zumal solche in jüngeren Jahren, die noch nicht ihre Vollreife erreicht haben, sollten unbedingt dekantiert werden.

Ein Muss ist es bei Jahrgangsportweinen, den so genannten Vintages.

Tommasi und Amarone - eine außergewöhnliche ErfolgsgeschichteDekantiergründe

1. Das Depot

In Rotweinen hoher Qualität (speziell Chateauweine aus Bordeaux, erstklassige Burgunder, Barolos aus Piemont) entwickeln sich im Laufe der Jahre trübe Stoffe.

Die können staubfein sein, kristallin wie Zucker oder auch schlierig (letzteres deutet mit ziemlicher Sicherheit auf einen Wein hin, der bereits ma­rode ist, nämlich essigstichig). Diese aus Farbpigmenten, Säuren und Mineralien gebildeten Trübstoffe sinken auf den Flaschenboden und ergeben das sogenannte Depot.

Der Sinn des Dekantierens liegt nun darin, den Wein vor dem Trinken sauber vom Depot zu trennen.

Damit der Bodensatz nicht vorher aufgewirbelt wird und den Wein trübt, muss die Flasche erschütterungsfrei bewegt werden. Ideal ist es, die Flasche einen halben Tag vor dem Öffnen senkrecht zu stellen.

2. Die forcierte Reife

Rotweine, die noch nicht auf ihrem Höhepunkt sind, also zu jung, verfügen in der Regel über viel Gerbstoffe (Tannin). Sie sind noch verschlossen, schme­cken leicht bitter, wirken astringierend – der Volksmund nennt das “pelzig”.

Durch den Kontakt mit der Luft werden die Weine weicher; es empfiehlt sich, solche jungen Burschen zwei bis vier Stunden vor dem Genuss zu dekantieren und offen in der Karaffe stehen zu lassen (aber nicht im warmen Esszimmer, sondern bei einer Temperatur nicht über 18°C).

Eine Weinreise in die Toskana Teil 3Bei Weißweinen sieht die Sache etwas anders aus. Da geht es weniger ums Depot, das selten ist und wenn schon, in Form von festen, geschmacks­neu­tra­len Kris­­tallen auftritt, sondern um die Förderung der Aromatik.

Sinnvoll ist das Dekantieren nur bei wuchtigen Weißweinen, die durch den kurzen und intensiven Luftkontakt aufblühen: etwa Chardonnays, die in Barriques angebaut worden sind, ferner hochklassige Grüne Veltliner der Gütestufe “Smaragd”.

Freilich sollte man dies nur unmittelbar vor dem Trinken tun. Jeder halbwegs gewiefte Wein­trinker wird schon erlebt haben, dass kapitale Weine, direkt von der Flasche eingeschenkt, im Glas nach einer gewissen Zeit besser werden. Sie werden klarer und gewinnen an aromatischer Finesse.

Genussmomente in Meran beim Traubenzauber3. Das Lüften

Es gibt rote wie weiße Weine, die unmittelbar nach dem Entkorken unangenehm riechen: holzig, muffig, dumpf, zuweilen auch nach altem Fasskeller oder wie korkig.

Solche Misstöne können durch das Einwirken des Sauerstoffs verfliegen. Bleibt der unangenehme Geruch auch nach etwa einer Viertelstunde oder verstärkt er sich wie bei einem echten Korkfeh­­ler, wird man den Wein abschreiben müssen.

4. Die Ästhetik

Ist der Tisch schön mit Damast, Silber, Porzellan und Gläsern gedeckt, mag eine Karaffe stilvoller empfunden werden als eine Flasche.

Tipps zum Dekantieren

Das korrekte Dekantieren ist keine Kunst, sondern schlichtes Handwerk.

Man nimmt die Flasche aus dem Regal, behutsam und so, dass der Bodensatz nicht aufgewirbelt wird, legt sie in ein Körbchen, zieht den Korken und lässt den Wein leise an der Innenwand der Karaffe entlang fließen. Bei jungen, noch robus­ten Weinen kann man den Wein bedenkenlos auch etwas plätschern lassen.

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Großflaschen sollten eine Woche vor dem Dekantieren aufrecht gestellt werden; das bringt mindestens ein Glas sauberen Wein mehr ein.

Wer Wert auf eine stilvolle Ausrüstung legt, kann sich neben Karaffen einen Trichter mit Sieb zum Auffangen der Korkreste zulegen. Notfalls kann ein sauberes Leinentuch helfen, um Korksplitter oder Depotstoffe wegzufiltern.

Ins Reich der Märchen gehört die immer noch zu hörende These, alte Rotweine müssten so viele Stunden vor dem Trinken dekantiert werden, wie sie alt sind. Das ist der sicherste Weg zum Weinmord.

 

Text: Redaktion G&R
Fotos: Redaktion G&R, Edmund Heinrichsdobler, TV_Naturns_Frieder_Blickle,

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