Endlich wieder Maske tragen dürfen, die Freiheit und das Leben in vollen Zügen genießen! Das kommt in Zeiten von Corona einer schier undenkbaren Aussage gleich. Aber eine Maskenpflicht war nicht immer lästig! Zwischen unserer heutigen und der ersten venezianischen Maskenpflicht liegen 726 Jahre.
Wir waren zwar nicht dabei, als der Senat der Republik Venedig 1296 beschloss, seinen Bürgern zu Karneval eine „Zeit des Vergnügens und der Erheiterung zu stiften“ – allerdings nur mit Maske.
Leider erlebten wir nicht, wie manch blass gepudertes Damengesicht von etwas Schamesröte untermalt wurde. Denn Masken und Kostüme dienten auch der Aufhebung von Unterschieden zwischen Schichten, Geschlechtern, Religionen.
Und während des Karnevals wurden hinter der schützenden Maske sogar Freiheiten gewährt, die im Laufe des restlichen Jahres undenkbar gewesen wären, wie etwa die öffentliche Verspottung von Behörden.
“Buon Giorno Signora Maschera”
“Guten Tag Frau Maske”, so grüßte der Herr die unbekannte Dame auf den Kanälen, also quasi unverfroren auf offener Straße.
Die persönliche Identität verschwand und die Venezianer erlaubten sich sogar Übertretungen im zwischenmenschlichen Bereich: Maske und Verkleidung dienten dazu, jedes sonst verbotene Spiel zuzulassen. Sogar Priester und Nonnen nutzten die Masken, um sich zu verbergen und amouröse Fluchten zu erleben.
Nur den Prostituierten, die mit Masken aufgegriffen wurden, ging es im Wortsinn an die Haut: Sie wurden vom Markusplatz bis zur Rialto-Brücke mit der Peitsche getrieben – das sind zu Fuß etwa zehn Minuten –, an den Pranger gestellt und für vier Jahre verbannt.
Carne vale bedeutet “Fleisch, lebe wohl”, und weist primär auf die fleischlose Zeit des Fastens hin. Napoleon ließ den Karneval sofort abschaffen, als er 1797 in die Stadt einzog.
Und es dauerte mehr als hundert Jahre bis das Fest der Masken wiederbelebt wurde, bis Venedig wieder sein Salz für die Suppe bekam und die große Sause vor der Fastenzeit zelebriert werden konnte.
Palazzo Venart
Ein Spinett ist zu hören. Das Instrument, nach dem venezianischen Instrumentenbauer Giovanni Spinetti benannt, erzeugt diese eigentümlichen Klänge, die einen unmittelbar in vergangene Jahrhunderte versetzen.
Wären da nicht die hässlichen FFP2-Masken einiger Helfer im Hintergrund. Mit dem Boot angekommene Gäste werden dagegen von venezianisch korrekt maskierten Dienern am Canal Grande empfangen: „Buona Sera Signora Maschera“ …
Es geht durch den Garten, einer der wenigen in Venedig, in den „Palazzo Venart“: überall Masken und Kostüme, gestelzt, barock, unglaublich elegant. Handgemachte und sündhaft teure venezianische Leder- oder Keramik-Halbmasken – essen und trinken sollte man schon ohne größere Schwierigkeiten können, damals wie heute – konkurrieren untereinander.
Einer trägt eine Pestmaske, diese ein wenig an FFP2 erinnernde Vollmaske mit schnabelartiger Nase, in der einst duftende Essenzen, wie von Nelke oder Zimt, die Atemluft vom Pesthauch befreien sollten.
Aus dieser Zeit stammt auch das Wort Quarantäne. Es stammt von quaranta für 40 ab. Denn 40 Tage mussten die Schiffe vor Venedig auf Reede liegen, ehe Waren oder Personen an Land durften.
Signora Maschera wird umgarnt. Ihr (neuer?) Signore stolziert wie ein Gockel. Handkuss. Alte Schule.
Feine Häppchen auf Silber, edler Franciacorta in mundgeblasenen Kelchen und viel Kunst: Im „Palazzo Venart“ hängt mehr davon an den Wänden als in so manchem Museum.
Man kann sich lebhaft vorstellen, dass diese Maskeraden für einen wie Casanova geradezu ideal waren, um die Damen reihenweise zu verführen.
Zu Lebzeiten Casanovas, Mitte des 18. Jahrhunderts und vor Napoleon, erreichte der Karneval seine größte Pracht. Zugleich uferten die Sitten ziemlich aus.
Vielleicht sogar wie in Federico Fellinis Film „Casanova“ von 1976, als Casanova während des Karnevals mit der Nonne Maddalena Sex hat, den der französische Botschafter durch ein Loch in der Wand genüsslich beobachtet.
So manche Maske zeigt ja vielleicht sogar das wahre Gesicht – Maskenpflicht hin oder her …
Wollen Sie mehr über Venedig erfahren, dann lesen Sie einfach weiter.
Text: Jochen Müssig
Fotos: Edmund Heinrichsdobler