Wissen Sie, wo man Plinsen und Bärentatzen isst und “Herr Käthe” wohnte, aber auch das Organon der Homöopathischen Heilkunst entstand? All dies gehört zur spannenden Geschichte der Stadt Torgau an der Elbe. Ein kulinarischer Stadtrundgang lohnt sich, folgen Sie uns.
Torgau, die Renaissance-Stadt, hat eine über 1.000-jährige Geschichte. 973 wurde sie urkundlich zum ersten Mal erwähnt. Auf den ersten Blick verführt die einstige Residenz sächsischer Kurfürsten mit ihrer Vergangenheit und lebendiger Gegenwart.
Sehenswert ist Schloss Hartenfels. Die Schlosskirche ist der erste protestantische Kirchenbau Deutschlands. Sie wurde 1544 von Martin Luther geweiht.
Über vierzig Mal besuchte der Reformator die Stadt. Hier, beim Kurfürsten, befand sich das politische Zentrum der Reformation in Deutschland. Deren Spuren sind allgegenwärtig.
Sie führen von der Kurfürstlichen Kanzlei über die erste deutsche Superintendantur bis zum Grab von Katharina von Bora, Luthers tüchtiger Frau.
Wer war “Herr Käthe”?
“Er nannte sie Herr Käthe und genoss es, dass sie so gut kochen konnte”, erzählt unsere Stadtführerin, die sich heute als “Herr Käthe” verkleidet hat.
Die Luthertafel war bekannt als erste deutsche bürgerliche Küche. “Herr Käthe” sorgte für Braten und Bier, Mehlspeisen, Kräutersuppen, Kuchen, Gebäck und Zuckerwerk; der Hausherr würzte nochmals mit Tischreden, die vielfach überliefert sind.
So schrieb Luther: “Meinen freundlichen lieben Herrn, Frau Katharina von Bora, (…), Lieber Herr Käthe! (…) Du tätest wohl, dass Du mir den ganzen Keller voll meines Weins und eine Flasche Deines Bieres herüberschicktest(…) Sonst komme ich erst wieder, wenn Du von neuem Bier gebraut hast.”
Das schmucke Renaissance-Wohnhaus in der Katharinenstraße 11 mit steilem Satteldach wurde 1552 zu Katharina Luthers Sterbelager, nachdem sie auf der Flucht vor der Pest einen tragischen Unfall erlitt, von dem sie sich nicht mehr erholte.
Renaissance-Kultur
Die historische Altstadt mit über 500 Denkmälern lädt zu einer Reise in die Vergangenheit ein.
Nach ausgiebiger Restauration bietet das Bürgermeister-Ringenhain-Haus mit zugänglichen Räumen den Besuchern ein in Mitteleuropa einzigartiges Wohnhaus einer Patrizierfamilie des 16. Jahrhunderts.
Zu verdanken ist die Ausgestaltung dem Torgauer Tuchhändler und Bürgermeister Paul Ringenhain (ca. 1570-1637), der sein Haus höfischer Wohnkultur entsprechend ausstatten ließ.
Der Markt wirkt mit dem Renaissance-Rathaus und den prächtigen Bürgerhäusern eindrucksvoll auf den Betrachter.
Hier befindet sich auch das älteste Spielwarengeschäft Deutschlands und eine der ältesten Apotheken Sachsens, die Mohrenapotheke.
Die Nikolaikirche im Rathausinnenhof war Ort der ersten Predigt in deutscher Sprache, wurde jedoch bald darauf säkularisiert.
In unmittelbarer Nähe zum Markt und zum Schloss treffen Gäste im Restaurant “Herr Käthe” auf die Inhaberin und Geschäftsführerin Beatrix Dörge, die vom “Beschwipsten Ochsen” bis hin zum „Getürmten Gequicke“ eine ideenreiche regionale Küche zaubert.
Einen Besuch verdient auch im Schloß Hartenfels die Dauerausstellung „Torgau ein Fürstenhof der Renaissance“, in der über das Alltagsleben am Hof berichtet wird.
Der Große Wendelstein wurde im 15. und 16. Jh. im Stil der deutschen Frührenaissance erbaut. Sind die 163 Stufen der Wendeltreppe zur Aussichtsplattform des Turmes erklommen, bietet sich ein einzigartiger Rundblick über Torgau und die weite Elblandschaft.
Im damals modernsten Wohnschloss Sachsens wurden glänzende Feste und viele Hochzeiten gefeiert. Im Lapidarium in der Unteren Hofstube und dem Schlosskirchenkeller wird die gesicherte originale Schloss-Bauplastik des 16. Jh. präsentiert.
Süffiges
“Mein Torgisch lob ich mir…”, bekannte einst Luther. Und in einer seiner Tischreden betonte er freimütig: “Torgauer Bier ist viel besser als Wein.” Es hat eine über 500-jährige Tradition.
Um 1600 wurden in Torgau 3,7 Mio. Liter Bier hergestellt und bis nach Leipzig vermarktet. Die Brautradition ist fast 800 Jahre alt und fand ihre erste Erwähnung im 12. Jahrhundert.
In der Stadt gab es einst 250 Braurechte, heute ist die Brautradition lebendiger denn je. Die Königsmarke des Brauhauses Torgau (85.000 hl Bier jährlich) ist das Pilsner, gebraut in der Tradition sächsischer Braukunst.
Bekannt ist auch das Doppel Caramel, mit dem man Brauhausgeschichte schrieb. Ein süffiger Genuss ist Zille’s Fassbrause, das alkoholfreie Kultgetränk, das an der weißen Bügelflasche mit gelbem Klöppel und den Duft-Etiketten (reiben und riechen) zu erkennen ist.
Speisen wie die Kurfürsten
Zurück auf dem Marktplatz kehren wir im Historischen Ratskeller ein. Schon 1579 gab es in den Gemäuern eine Trinkstube.
Sie diente dem Adel und später den Bürgerlichen zur “Biertischpolitik”, belegt durch die Trinkstubenordnung Augusts, Kurfürst von Sachsen. Knechten und Weibern war der Eintritt verwehrt. Der Ratskeller wurde bis heute in seiner baulichen Form belassen.
Inhaber Michael Borisch serviert neben Gerichten der Region zum herzhaften regionalen Bier die “Torgauer Bärenspeise”. Als Torgauer verbindet er Besonderes mit den Braunbären am Schloss Hartenfels und kreierte für sie ein Gericht.
Das Gebiet um die Dahlener und Dübener Heide ist seit dem 11. Jh. ein beliebtes Wild- und Jagdgebiet. 1425 legte Herzog Friedrich, der Streitbare, die ersten “Bärenfänge” in Torgau und Kemberg an.
Friedrich, der Sanftmütige, ließ 1452 an der Burg Torgau einen Bärengraben errichten. Seit 2007 kümmert sich eine Torgauer Bärenstiftung um das Gehege.
Nach dem reichhaltigen Mittagessen machen wir uns auf den Weg zum Hahnemann-Haus, in dem es viel über Homöopathie zu erfahren gibt.
Das kurfürstliche Freihaus Pfarrstraße 3 wurde um 1474 errichtet. Es ist eines der wenigen Wohnhäuser Sachsens, die in großem Umfang Originalsubstanz aus dieser frühen Bauphase aufweisen.
Es ist eingebunden in den Torgauer Museumspfad und beherbergt das internationale Homöopathiekolleg Torgau e.V. – dazu gehört ein Kräuter- und Gewürzgarten. Hier wohnte sieben Jahre lang C. F. S. Hahnemann, der Ende des 18. Jh. die Homöopathie entwickelte, als die Medizin vom heutigen Wissensstand noch weit entfernt war.
Ohne viel von Krankheitsursachen zu verstehen, quälten die Ärzte damals Patienten mit Aderlassen und häufig giftigen Medikamenten. Hahnemann erforschte und dokumentierte die Wirkungen der Arzneimittel. Diese Ergebnisse waren Grundlage für sein 1810 in Torgau veröffentlichtes Organon der rationalen Heilkunde, bis heute Standardwerk der Homöopathie.
Auf dem Weg verkosten wir bei Bäckermeister Füchsel die Torgauer Bärentatzen und erfahren einiges über die wahre Herkunft des Dresdner Stollens, der in Torgau erfunden wurde.
Ein echter sächsischer Stollen ist 1457 aus der Backstube von Schloss Hartenstein belegt.
Zur Nachspeise geht es in den Pensionsgasthof Deutsches Haus, wo Christian Baiers Torgauer Plinsen warten, die früher nur donnerstags in Torgauer Wirtshäusern angeboten wurden. Gegessen werden sollten sie warm mit Apfelmus. Dazu passt eine Tasse Kaffee.
Die Stadtführung endet auf dem Marktplatz. Hier erfahren wir auch wie unsere als “Herr Käthe” verkleidete Stadtführerin im wirklichen Leben heißt: Silvia Meinel und sie vertritt das Torgau-Informations-Center.
Alle Teilnehmer sind sich einig: Torgau ist mehr als eine Reise wert.
Text: Dr. Michael Polster
Fotos: Dr. Michael Polster / TIC, Wolfgang Sens / TIC, Bernd Blume / TIC, Wolfgang Sens / Museum Torgau / TIC, Bernd Blume / Dr. Michael Polster / TIC Wolfgang Sens / TIC Bernd Blumne / Dr. Michael Polster (2x) / TIC Wolfgang Sens