Eine Landschaft zum Träumen, ein atemberaubende schöner See, reizende Städtchen und eine vielseitige Gastronomie.
Wir sind im Tessin … wo Essen zum Genuss wird.
Hier der 2. Teil unseres Reiseberichts aus dem südlichsten Kanton der Schweiz. Folgen Sie unseren kulinarischen Spuren.
Jahrhundertelang ernährte sich die mehrheitlich ländliche und arme Bevölkerung im kargen Tessiner Berggebiet von Kastanien, die in aufwendig gehegten Wäldern geerntet wurden.
Aus dem einstigen “Brot der Armen” wurde eine noble Delikatesse für Feinschmecker. Jeder fünfte Baum im Kanton ist eine Kastanie. Etwa 12 t Kastanien werden im Tessin geerntet.
Kastanie – Königin der Dorffeste
Allerdings ist die Kastanie heute die “Königin” der vielbesuchten Dorffeste. Hier wird sie in Form von Röstkastanien, Mehl, Brot, Kuchen und Marmeladen angeboten, zusammen mit hausgemachter Butter oder Quark, Heilkräutern, einheimischen Likören wie Nocino und Grappa, oder einem hochwertigen Olivenöl.
Die entscheidenden Impulse für die Tessiner Kochkunst kamen aber aus der Lombardei.
Die Tessiner Köche waren mehr als ihre italienischen Kollegen darauf bedacht, das ländliche kulinarische Erbe weiter zu pflegen – und begründeten damit die Tessiner Küche.
1846 erschien in Lugano das erste Tessiner Kochbuch. Zu den regionalen Spezialitäten zählen Polenta, Risotto und der Tessiner Käse.
Berühmte Wurstspezialitäten sind Tessiner Mazza, Pancetta und die mit Leber angereicherte Mortadella.
Durch den Ausbau der Verkehrswege wurde der Einfluss der lombardischen Küche noch verstärkt, was eine Erweiterung der regionalen Speisekarte mit sich zog: Risotto (eigentlich eine Mailänder Spezialität), Ravioli und andere Teigwaren sind längst ein fester Bestandteil der Tessiner Küche.
Wer in Lugano Urlaub macht, sollte unbedingt den Feinkostladen Gabbani in der Via Pessina besuchen. Das kleine, feine Delikatessengeschäft ist zwar nicht ganz günstig, aber die Auswahl ist einmalig. Hier hängen feinste Salami von der Decke, Kupferkessel an der Wand und hinter der Theke locken zahlreiche kulinarische Köstlichkeiten.
Typisch Tessin: Das Grotto
Das Tessiner Lokal schlechthin ist das Grotto, ein einfaches Lokal, das oft unter freiem Himmel liegt. Grotti heißen die besonders urigen Gartenlokale.
Ursprünglich waren sie schattig gelegene Felskeller zur Lagerung von Nahrungsmitteln. Später fügte man Vorplätze mit Steintischen hinzu, an denen abends oder am Wochenende Frischkäse, Salami und Wein aus eigener Produktion genossen wurden.
In den Grotti hat man am ehesten die Gewähr, auf typische, hausgemachte Gerichte zu stoßen.
Zu den klassischen Gerichten zählt Brasato: ein in Rotwein geschmorter Rinderbraten, der meist mit Polenta serviert wird.
Häufig findet man auf der Speisekarte auch Alborelle, in Öl gebackene Weißfische.
Berühmter ist der Pesce in carpione. Auch bei dieser Delikatesse wurde aus der Not eine Tugend gemacht: um Fisch – entweder Coregorie (Reichen) oder Trota (Forelle) – zu konservieren, wird er gebraten, in eine Kräuteressigmarinade eingelegt und kalt serviert.
Vor allem an heißen Sommertagen bieten die Grotti eine willkommene Abkühlung. Hier kann man sich bei einem Gläschen Merlot mit einem weichen Ziegenkäse, dem Zincarlin aus dem Muggiotal, oder mariniertem Fisch entspannen.
Ein Stück Tessin zum Mitnehmen
Die Produkte sind oft das Spiegelbild eines Landes. So ist der typische Geschmack der Formaggini des Muggiotals mit der charakteristischen Flora und den früheren Techniken verbunden.
Ebenso gefragt sind Honig und Schlachtprodukte, z. B. der duftende Knochenschinken.
Die charmante Ortschaft von Gandria ist eines der meistfotografierten Sujets des Tessins. Nur zu Fuß kann man die schmalen Gassen durchstreifen und den Zauber des ehemaligen Fischerdorfes auf sich wirken lassen.
Den schönsten Blick auf die sich terrassenförmig staffelnden Häuser, die von der barocken Kirche S. Virgilio überragt werden, hat man vom See aus.
Das Muggiotal mit seinen schroffen Steinschichten bietet Eindrücke wie vor 100 Jahren und gilt als „lebendiges Freilichtmuseum“.
Da das Tal vor der kompletten Auswanderung stand, wurden vor einigen Jahren die Waschhäuser, Vogelfanghäuschen und Kastanien-Dörrhäuser restauriert.
Zudem legte man Themen-Wanderwege an und baute die Mühle von Bruzella aus dem 16. Jahrhundert wieder auf. So wurde das Tal zu einem natürlichen Völkerkundemuseum.
Auch das kleine Dorf Salorino besitzt etwas Außergewöhnliches: seine Keller, le cantine. Ein ganzer Straßenzug besteht nur aus Häusern mit Kellern und Arbeitsräumen in den oberen Stockwerken.
Marialuce Valtulini ist hier die unangefochtene Chefin des Zincarlin im Valle di Muggio. Ihr und anderen Einheimischen ist es zu verdanken, dass diese fast vergessene Käseherstellung heute wieder von mehreren Produzenten praktiziert wird.
Wer den Zincarlin erfunden hat, ist nicht mehr auszumachen, sicher ist aber, dass diese Tradition typisch für das Gebiet am Monte Generoso ist.
Der von Slow Food anerkannte „Zincarlìn de la Val da Mücc“ ist ein aus Rohmasse hergestellter Käse. Er wird grundsätzlich aus Kuhmilch produziert, doch die Tradition sieht auch kleine Mengen von Ziegenmilch vor.
Die verwendete Milch stammt von örtlichen Bauern. Die Reifung der „Formaggini“ erfolgt in spezifischen Untertagekellern des Monte Generoso. Um die Entstehung unerwünschten Schimmels zu vermeiden, wird die Oberfläche jedes Zincarlìns fast täglich mit Weißwein und Salz behandelt.
Typisch für das Muggiotal ist auch die einzigartige Ziegenwurst Cicitt, die ebenso ein Slow Food-Produkt ist.
Fazit unserer Reise: wir haben toll gegessen, viel Interessantes entdeckt und werden sicherlich wiederkommen.
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Text: Dr. Michael Polster
Fotos: Ticino Tourisme (3x), Polster, Ticino Tourisme (3x), Polster, Ticino Tourisme (3x), Polster