Eine Reise zum Nordkap und darüber hinaus verspricht überwältigende Natur, Weite und Ruhe und spezielle kulinarische Genüsse. Ein leises Knarzen im Lautsprecher, dann herrscht wieder Ruhe. Die ersehnte Ansage des Kapitäns des Hurtigruten -Schiffes bleibt aus. Wie würde sie lauten? “Leute, raus aus den Federn, Nordlicht backbord voraus”?
Auf Wunsch werden die Passagiere auch mitten in der Nacht informiert, wenn eine der Hauptattraktionen einer Nordlandreise den Himmel mit farbigen Schleiern überzieht. Aber eine Garantie für die Sichtung des Nordlichts gibt es nicht.
Und so zieht nachts wie tagsüber nur die schneebedeckte Küste Nordnorwegens an den Fenstern des Hurtigruten-Schiffes vorüber und signalisiert: Ich bin eisig kalt, bis ins Mark hinein.
Das lässt sich leicht aushalten, wenn man drinnen im Warmen sitzt oder, gut eingemummelt, an der Reling steht und den Blick nicht abwenden kann von der gewaltigen Bergkulisse, die sich Hunderte Kilometer in Richtung Nordkap hinzieht.
Eine Landschaft wie ein Haiku: auf das Wesentliche reduziert.
Graue Felsen, die sich in schwindelerregende Höhen türmen, Schneefelder, das graue Meer, der tief hängende graue Himmel mit eilig dahinziehenden Wolkenfetzen. Eigentlich immer das Gleiche, aber immer aufregend.
Dennoch werden die Häfen, die der Linienbus der Meere regelmäßig anläuft, gern als Abwechslung genommen.
Mal ist es nur eine halbe Stunde in einem winzigen Ort, der mit Post und Fracht versorgt wird; ein kleiner Fleck menschlichen Lebens, der der ungeheuren Einsamkeit trotzt.
Oder es ist ein Hafen wie der von Tromsø, der lebendigen Universitätsstadt überm Polarkreis, die einen längeren Aufenthalt lohnt.
Aber das eigentliche Ziel liegt weiter im Norden und ist von Honningsvåg aus mit dem Bus anzusteuern: das legendäre Nordkap.
Zwar ist es nicht der nördlichste Punkt Europas, als der es verkauft wird – der heißt Knivskjellodden und ragt noch 1,4 Kilometer weiter nach Norden ins Meer. Aber diese Landzunge ist bei weitem nicht so spektakulär wie der 300 Meter tief ins Meer abstürzende Nordkap-Felsen, und deshalb wird die kleine Schummelei augenzwinkernd hingenommen.
Muße für erhabene Gedanken gibt es am Nordkap eher nicht, dafür herrscht zu jeder Jahreszeit zu viel Betrieb auf dem Plateau und in der Nordkaphalle, in die man sich zurückzieht, wenn einem der eisige Wind draußen die Atemfahnen vom Mund reißt.
Andrang gibt es vor dem großen Globus, der fotografisch eingefangen werden will; die beliebteste Pose ist, mit weit ausgebreiteten Armen, die „Stütze der Welt“.
Auch wenn der Nordkap-Globus in einer der entlegensten Ecken der Erde steht, gehört er doch zu den meistfotografierten Ikonen des internationalen Tourismus.
Heute ist der Hintergrund grau: kein Nordlicht in Sicht.
Wirkliche Einsamkeit gibt es hier nicht.
Also machen wir uns auf, weiter nach Osten, wohin Reisende eher selten fahren. Kirkenes heißt das Ziel, wenige Kilometer vor der russischen Grenze.
Hier ist der Wendepunkt der Hurtigruten-Route. Eine 3500-Einwohner-Stadt am Fjord, nüchtern wie die Norweger, mit einer nachdenklich stimmenden Geschichte: im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt, von den Russen heftig bombardiert, beim Rückzug der Deutschen völlig zerstört. In der Andersgrotta, in einem alten Bunkersystem, wird diese bittere Zeit eindrucksvoll präsentiert.
Aber richtig einsam ist es auch hier nicht. Also geht es noch weiter, Richtung Süden.
Das Gekläff, das uns auf der Gabba-Huskystation empfängt, ist ohrenbetäubend. Die Hunde können kaum erwarten, loszustürmen. Mit atemberaubenden Tempo geht es durch die Schneeweite, acht Tiere ziehen den Schlitten mit drei Menschen.
Unförmig eingemummelt in blaue Thermoanzüge, haben wir Mühe, uns festzuhalten. Gelegentlich müssen wir uns ducken, denn die Huskys fragen nicht, ob sie mal kurz in die Büsche dürfen; ihr Geschäft erledigen sie im Laufen.
Hechelnde Zufriedenheit bei den Hunden nach der Tour; wir steigen um auf Schneemobile, was noch einmal eine erhebliche Tempoverschärfung bedeutet.
Auf dem zugefrorenen Fjord schließlich das erste Ziel: Aus dem kleinen Loch im Eis holt Gabba-Chef Ronny Østrem einen Korb hoch, in dem es klappert und wimmelt. Königskrabben.
Die urtümlichen Krustentiere mit dem leckeren Beininhalt sind riesig, bis zu zwei Meter Spannweite können sie erreichen.
Nach einem Massaker auf dem Eis werden die abgetrennten Beine eingepackt, und es geht weiter zur Namdalen Wilderness Lodge, wo das zweite Ziel wartet: Töpfe mit kochendem Wasser.
Sich am Krabbenfleisch sattessen, dann noch ein Bier am Lagerfeuer, und während einer nach dem anderen in den einfachen Zimmern der umgebauten Scheune verschwindet, stellt sich draußen endlich das ersehnte Gefühl von Weite und Einsamkeit ein.
Ringsumher nur tief verschneite schweigende Wälder, der zugefrorene Fjord, und darüber funkeln frostig-klar die Sterne.
Rückreise in die Zivilisation
Wie betriebsam das Kirkenes-Schneehotel erscheint, mit seinen 23 Eissuiten, oder das Restaurant der zugehörigen Lodge mit einem Dutzend Gästen. Kirkenes: eine lärmige Großstadt.
Das südgehende Schiff der Hurtigruten: ein riesiger Kreuzfahrer, das endgültige Ende der Einsamkeit. Der Alltag hat uns wieder. Aber die in der Weite der Finnmark aufgeladenen Akkus werden bis zum nächsten Urlaub halten.
Anreise: Beispielsweise mit SAS Scandinavian Airlines von Frankfurt über Oslo nach Tromsø und zurück, ab ca. 400 Euro (www.flysas.com). Weiter mit Hurtigruten; die Routen können individuell zusammengestellt werden (Tel. 040/87408358, www.hurtigruten.de).
Unterkunft und Veranstalter (Huskysafari, Königskrabbensafari): Kirkenes Snowhotel, Tel. 0047/78970540, www.kirkenessnowhotel.com. Übernachtung in der Schneehotelsuite ca. 280 €, Hütten ca. 235 € pro Person, Namdalen Wilderness Lodge auf Anfrage.
Essen: Im Gabba Restaurant (Kirkenes Snowhotel), das wie ein samisches Lavvu gebaut ist, gibt es samische Küche, u. a. Fischsuppe. Hurtigruten serviert gemäß dem Konzept „Norway’s Coastal Kitchen“ Regionaltypisches.
Text: Bernhard Mogge:
Fotos: Bernhard Mogge, Nicole Merten, Matthias Hultsch