Nicht nur die Landeshauptstadt München, auch Kleinstädte und Dörfer locken in Oberbayern mit reichhaltigem kulturellem Angebot in Theatern und Opernhäusern, einer hohen Dichte an gastronomischen Einrichtungen, Geschichte und Kunst. Kulinarische Spezialiäten, Mundart, Feste und Trachten geben jedem Land seine unverkennbaren Markenzeichen. Hier der 2. Teil unserer Entdeckerreise quer durch Bayern.
Das ganze Jahr ein Fest
Wir sind in Teil 1 unserer Genussreise von Nord nach Süd gefahren – haben Sterneköche besucht und guten Wein genossen. Nun sind wir im kulinarischen Kernland Bayerns angekommen.
Bayerische Traditionen sind in der ganzen Welt bekannt: ob Weißwürste und Leberkäse, die Biergärten oder die Bergwelt.
Unabhängig von Region und Tageszeit liebt der Oberbayer seine Brotzeit: Obatzd’a (zerdrückter, reifer Camembert, mit Butter, Zwiebel, Kümmel und Paprikapulver), Radi (dünn geschnittener, gesalzter Rettich), Wurstsalat oder Käse, dazu Brez’n.
Berühmt ist auch der Leberkäs, in dem weder Leber noch Käse drin ist. Hinein kommen Rind- und Schweinefleisch, Wasser und Salz. In Scheiben geschnitten isst man ihn mit Kartoffelsalat oder Spiegeleiern und süßem Senf.
Mindestens so bekannt ist die Münchner Weißwurst. Erfunden hat sie 1857 angeblich ein Joseph Moser. Bei der Herstellung seiner Kalbsbratwürste waren dem Wirt und Metzger die Schafsdärme ausgegangen, so füllte er Kalbsbrät in Schweinedarm, brühte die Würste in heißem Wasser und servierte sie als Neuheit.
Heute sind sie fester Bestandteil bayerischer Esskultur. Wer es genau nimmt, bestellt eine ungerade Zahl, nie paarweise und nie nach dem Mittagsläuten um 12 Uhr.
Am besten schmeckt die Brotzeit in einem schattigen Biergarten – eine oberbayerische Institution. Als 1539 einer Verordnung zufolge nur noch von Ende September bis Ende April gebraut werden durfte, sannen die Brauer auf Abhilfe.
Man ließ Kellerhöhlen schlagen, in denen das Bier unter Natureis-Brocken, die im Winter aus Flüssen und Seen geschlagen wurden, kühl in Fässern lagerte.
Als Schattenspender wurden Kastanien oder Linden darüber angepflanzt. Noch heute sitzt man unter den großen Kastanien gemütlich beisammen.
In Biergärten (nicht zu verwechseln mit bestuhlten und sonnenbeschirmten Gärten von Gastwirtschaften) dürfen Speisen mitgebracht werden.
Ein rechter Wirt sieht es gelassen, wenn der Gast seinen eigenen Kartoffelsalat oder den Obatzden auf das – ebenfalls mitgebrachte – Tischtuch stellt.
Die Brez’n und den Steckerlfisch kauft er sich, wie das Bier, ja doch frisch vor Ort.
Bräuche der Haupstadt
“Stadt der Bergluft und des südlichen Himmels, Pfeiler der Brücke zwischen Deutschland und Italien”, beschrieb Ricarda Huch München. Die 1,5-Mio.-Metropole steht weltweit für bayerische Lebensart, Genuss und Geselligkeit.
Tatsächlich verfügt München in der Gastronomie über eine Versorgungsdichte, die selten erreicht wird. Ein kulinarischer Streifzug lässt sich am besten auf dem Viktualienmarkt beginnen. Als Bauernmarkt gegründet, wurde er im 19. Jahrhundert zu einem Markt für Lebensmittel. Heute bieten hier mehr als 140 Firmen ihre Waren an.
Wem der Sinn nach Süßem steht, dem sei die Schmalznudel im Café Frischhut empfohlen, wenige Schritte vom Markt entfernt. In den frühen Morgenstunden frühstücken hier Marktbeschicker wie Nachtschwärmer Schmalz-, Rohr- oder Dampfnudeln zum Kaffee.
Die Wies’n
„Ozapft is!“ heißt es, wenn der Oberbürgermeister das erste Holzfass Festbier ansticht und das Münchner Oktoberfest, die Wies’n, eröffnet: Das größte Volksfest der Welt, das entgegen seinem Namen bereits Mitte September beginnt.Bayerische Schmankerl werden in den Festhallen und in den Holzbuden auf dem Festplatz, der Theresienwiese, angeboten.
Bei der Fischer-Vroni können Besucher Steckerlfisch genießen: Lachsforelle, Zander oder Makrele werden auf einen Stock gespießt und in einer langen Reihe gegrillt.
In der alt eingesessenen Ochsenbraterei schmoren jedes Jahr um die 90 ganze Ochsen.
Das Oktoberfest basiert auf einem großen Pferderennen, das am 17. Oktober 1810 anlässlich der Hochzeit des Wittelsbachers Ludwig von Bayern mit der Prinzessin Therese von Hildburghausen abgehalten wurde. Mit Bier und Brotzeit dankten die Wittelsbacher dem bayerischen Volk für seine Treue in schweren Zeiten.
Wenn es ums Bier geht, können die Münchner sehr ungemütlich werden. Ihre Stadt ist wohl weltweit die einzige, in der sich ein “Verein gegen betrügerisches Einschenken” gegründet hat.
Zu den über 4.000 Mitgliedern zählt auch der Oberbürgermeister. Der Verein ernennt ehrenamtliche Prüfer, die in Wirtshäusern und Schankbetrieben die Füllhöhe des Bieres in den Gläsern kontrollieren.
Gegen den Durst
“Hopfen und Malz, Gott erhalt’s” liest man heute noch oft in Gaststuben oder Brauereien. Im hügeligen Land nördlich von München liegt das bedeutendste Hopfenanbaugebiet der Welt – die Hallertau.
Hier findet der Hopfen passende Böden und ein Klima mit viel Niederschlägen und Sonnenstunden. Bis Ende August reifen die Dolden der weiblichen Pflanzen. Sie verleihen dem Bier Geschmack und Aroma.
Die Bitterstoffe sind für die Schaumbildung verantwortlich, ätherische Öle sorgen für Geschmack und Gerbstoffe dienen der Konservierung – früher ein besonders wichtiger Aspekt.
Die Pflanze verlangt einen enormen Arbeitseinsatz: Während pro Hektar Getreidefeld 20 Stunden im Jahr anfallen, sind es beim Hopfen trotz modernster Technik bis zu 250.
“Der Hopfen will jeden Tag seinen Herrn sehen”, lautet eine Volksweisheit. Hopfenernte war früher echte Knochenarbeit. Heute haben Erntemaschinen die Handarbeit ersetzt.
Was geblieben ist, sind die Erntefeste – herausragend das Wolnzacher Volksfest mit der Wahl der Hopfenkönigin. Wer mehr erfahren will, besucht das Deutsche Hopfenmuseum in Wolnzach.
Bierfeste, Kirchenfeste, See- und Waldfeste – in Oberbayern wird gern gefeiert: mit Hingabe und Tradition. Die meisten Feste haben ihren Ursprung in Wallfahrten, Prozessionen oder in einem Markt.
Der Lebenslust der Oberbayern ist es zu verdanken, dass es keinen Feiertag, kaum ein Wochenende ohne Fest gibt.
In die Berge
Das Werdenfelser Land mit dem höchsten Berg Deutschlands, der Zugspitze, gleicht urbayerischer Landschaft. Tatsächlich stand das Gebiet fast 500 Jahre unter der Herrschaft der Bischöfe von Freising. Erst 1802 kam es zum Königreich Bayern.
Mittenwald und der Festspielort Oberammergau mit ihren mit Lüftlmalerei verzierten Bauernhöfen sind einen Besuch wert.
Im Oberbayerischen Herzland, dem von der Benediktenwand überragten Isarwinkel, soll es die schönsten Trachten und die imposantesten Gebirgsschützen und Blaskapellen geben.
In Bad Tölz findet alljährlich am 6.11. eine prächtige Leonhardifahrt statt. Sie ist Ausdruck des Dankes für die Ernte und zugleich Bitte um Schutz für Hof und Stall an den Schutzheiligen St. Leonhard.
Über 80 Gespanne und 100 berittene Pferde sind zu bewundern: Vom typischen Truhenwagen bis zum Tafelwagen, auf dem die Bauern, Knechte, Mägde und Kinder in der ortstypischen Tracht Platz finden.
Am Ortsausgang Richtung Königsdorf empfiehlt sich ein Einkaufsstopp: Im Tölzer Kasladen von Wolfgang Hofmann reifen über 100 Käsesorten bei unterschiedlicher Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
In der Nachbargemeinde Benediktbeuern lohnt der Besuch des Klosters. Hier erfanden die Benediktiner vor langer Zeit das Benediktiner Klostergold, einen 43-prozentigen, mild-süßen Kräuterlikör. Der Clou: Der Likör enthält Aurum potabile, trinkbares Gold. Das Klostergold kann man im Klosterladen kaufen oder im Bräustüberl verkosten.
Um dem Touristen-Trubel rund um den Tegernsee zu entgehen, empfiehlt sich eine Wanderung zum Berggasthof Neureuth (1263 m). Der knapp 75-minütige Aufstieg wird mit traumhaftem Blick auf das Tegernseer Tal belohnt.
Noch spektakulärer ist das Panorama vom Wallberg (1722 m) aus. Hier muss man allerdings drei Stunden für den Aufstieg rechnen – oder in die Bergbahn steigen.
Im Herzoglichen Bräustüberl am Schlossplatz in Tegernsee lässt es sich gut einkehren. Für den kleinen Hunger bietet die Karte Griebenschmalzbrot mit roten Zwiebeln, Schnittlauchbrot oder Leberknödelsuppe. Ist der Appetit geweckt, kann man sich für ein geräuchertes Saiblingsfilet, ein Bierbratl (in Bier gebratener Schweinebauch) oder Tellerfleisch mit Kren (gekochtes Rind- oder Ochsenfleisch mit Meerrettich) entscheiden.
Am Schliersee hat der ehemalige Skirennfahrer Markus Wasmeier ein Bauernhofmuseum eingerichtet. Es lassen sich nicht nur Bauernhäuser, Möbel und Geräte besichtigen, sondern der Alltag einer versunkenen Epoche. Es wird gesät und geerntet, gedengelt und gehobelt, gemolken, gekast und gebraut.
Unser kulinarischer Streifzug geht zu Ende. Wir haben Spitzenköchen in die Töpfe geguckt und Schmankerl probiert, Landschaft und Kultur sind dabei nicht zu kurz gekommen und können die genussvolle Reise nur empfehlen. Besuchen Sie uns doch mal in München!
Text: Annemarie Heinrichsdobler
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