Dieses Jahr erinnerte sich die literarische Welt an den 100. Todestag des Schriftstellers Franz Kafka (1883 – 1924). Obwohl er zu den bedeutendsten Vertretern der Prager deutschen Literatur und zu den weltweit meistgelesenen Schriftstellern deutscher Sprache gehört, war er immer Sohn seiner Stadt, die sein ganzes Leben bestimmte. Wir folgten seinen Spuren in der goldenen Stadt, besuchten seine Cafés und Wohnstätten, und lernten so etwas von seinem Leben kennen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Prag die Literaturhauptstadt Europas und deren Kaffeehäuser die Tempel des Geistes. Sie dienten den Intellektuellen als literarische Salons und manch armem Poeten, der hier seinen Weltschmerz pflegte, als Wohnzimmer und Postadresse.
In diesen Treffpunkten der Geistesschaffenden war er zu Hause: Franz Kafka, der mit seinen Freunden zwischen Hradschin und Wenzelsplatz Prager Geschichte(n) geschrieben hat.
Idealer Städtetrip
Die Stadt Prag ist das perfekte Ziel für ein Wochenende. In Eurocity-Zügen in Kooperation mit der Tschechischen Bahn fährt die Deutsche Bahn sechsmal täglich in vier Stunden von Berlin nach Prag und ebenfalls zurück.
Einstimmen kann man sich dabei im tschechischen Speisewagen, in dem man zwischen Prag und Berlin wie in einem richtigen Restaurant unterwegs ist. Es gibt frisch gezapftes Bier, exzellenten Lendenbraten, Gulasch und böhmische Knödel.
Mit etwas Glück wird man von Kellner Pavel Peterka – unter Pragzugreisen ein Geheimtipp – ein Poet und Theatermensch, der sich aber dann doch für die Eisenbahn entschieden hat, bedient.
Schon die Ankunft im Bahnhof Praha hlavní nádražíin, dem zentralen und größten Personenbahnhof der Tschechischen Republik, beginnt stilvoll, denn in die Stadt sollte man durch die ehemalige Jugendstil Schalterhalle, eintreten.
Beim andächtigen Durchschreiten der Halle mit ihrer sehenswerten Kuppelhalle haben wir schnell einen kleinen Schwarzen im berühmten Café Fanta mit seinen nostalgischen Räumlichkeiten genossen. Hier sollte man einfach nicht vorbei gehen.
An der Wand verkünden goldene Lettern: „Praga mater urbanum“: „Prag die Mutter der Städte“.
Mit einem entsprechenden Baedeker Reiseführer kann die Tour beginnen und schon sind wir bei Franz Kafka, bzw. dessen lebenslangem Freund Max Brod, der auf den wenigen gemeinsamen Reisen, die sie unternahmen, feststellte, dass ein „Bädecker“ zu den am leichtesten verlierbaren Gegenständen gehöre.
Denn er leite einen allmählich, wie es sein Zweck ist, dahin, dass man sich auch ohne ihn in der Stadt auskennt und zu Hause fühlt. Dann bemerkt man es gar nicht, dass man ihn irgendwo liegengelassen hat.
Wir eilen zielstrebig in die Altstadt und nehmen Quartier in einem der vielen historischen Hotels.
Auf Kafkas Spuren
1883 wurde Franz Kafka in Prag geboren. Seine Mutter, eine vermögende Frau und sein Vater, Hermann Kafka, ein Kaufmann aus der Provinz, mit wenig Interesse am eigenen Judentum. Anpassung lautete die Devise des Familienoberhauptes, dessen Einfluss sich der Sohn zeitlebens nicht entziehen konnte.
In einem Brief an ihn – den der Empfänger nicht erhielt – versuchte Franz den Konflikt mit ihm zu bewältigen. Die 103 handschriftlich verfassten Seiten sind immer wieder gern ein bevorzugter Text für psychoanalytische und biographische Studien über Kafka.
„Hier war mein Gymnasium, dort in dem Gebäude, das herübersieht, die Universität und ein Stückchen weiter links hin, mein Büro. In diesem kleinen Kreis ist mein Leben eingeschlossen“, wird er sein Leben beschreiben.
Ein Pragbesucher sollte diesem Kreis folgen. Begibt man sich auf Spurensuche, ist man immer wieder überrascht, dass kaum einer der Bezugspunkte zu ihm außerhalb des historischen Stadtzentrums liegt.
Im Laufe eines dreistündigen individuellen Rundgangs mit einer fachkundigen Prag-Führung gibt es vertiefende Einblicke in die Vielfalt der Stadt und praktische Hilfe beim Auffinden von Kafkas Wohn- und Arbeitsstätten.
Sein Leben ist in die Gassen und Winkel der Prager Altstadt und des jüdischen Viertels Josefov förmlich eingeschrieben. Selbst von seinem Geburtshaus, gibt es noch das intakt gebliebene Portal und die darüber liegende Balkonbrüstung.
Denkmäler für ihn gibt es auch, nicht zu übersehen ein überdimensionaler Kopf des Meisters: eine Skulptur, geschaffen von David Cerný (siehe oben) aus dem Jahre 2014 hinter dem Einkaufszentrum Quadrio. Der Kopf, aus über 42 bewegliche Ebenen, die immer in Bewegung sind, soll das Gesicht Kafkas als Einheit und in permanenter Auflösung zeigen, eine Anspielung auf Kafkas Werk „Die Verwandlung“.
Kafka studierte zwei Semester Germanistik, danach Jura an der Deutschen Universität in Prag und schloss nach fünf Jahren mit der Promotion ab.
Nach einem obligatorischen Praktikum arbeitete er bei der Assicurazioni Generali, die Prager Zweigstelle einer Triestiner Versicherungsgesellschaft, zentral am Wenzelsplatz gelegen, in einem Gebäude im Prager Neobarockstiel, aus dem Jahre 1900.
Später dann geht er bei der halbstaatlichen „Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt für das Königreich Böhmen“ täglich zur Arbeit, die er als „Brotberuf“ ansah, der ihm allerdings die zeitliche und finanzielle Möglichkeit zum Schreiben bot. So arbeitete er normalerweise von 8-14 Uhr und schlief nachmittags, um dann in der Nacht zu schreiben.
In rascher Folge zog die Familie in den Jahren mehrfach um. Krennhaus in der Niklasgasse, Sixthaus, und das Haus Minuta, das zu Anfang des 17. Jahrhunderts errichtet wurde und heute noch den Großen von dem Kleinen Altstädter Ring trennt. Zu Fuß geht man vom Altstädter Ring innerhalb von 10 Minuten in das Viertel Josefov (Josefstadt).
Keine der Figuren in den Werken Kafkas tritt erkennbar als gläubiger Jude auf. Es war erst sein Freund und Förderer Max Brod, der das Jüdische dieser Werke bemerkt und akzentuiert hat.
Das jüdische Viertel in Prag gehört zu den meist besuchten Orten der tschechischen Hauptstadt, es entstand im 13. Jahrhundert. Die erhaltenen religiösen Gebäude und Friedhofsanlagen sind Teil des Jüdischen Museums.
Geraume Zeit war Kafkas Schreibstube im Goldenen Gässchen, an der Prager Burg, dem monumentalen immer sichtbaren Wahrzeichen der Stadt. Kafkas Schwester Ottla mietete das Haus mit der Nummer 22. Kafka hat hier nie gewohnt, aber nächtlich hier gearbeitet.
Ein absolutes Muss ist ein Besuch des alten Jüdischen Friedhofs, auf dem mehr als 100.000 Menschen in mehreren Schichten übereinander bestattet sind, wodurch eine außergewöhnliche, hügelige Landschaft entstanden ist.
Das Wort Judentum hat Kafka in seinem literarischen Werk nicht erwähnt. Als Erwachsener lernte er Hebräisch und beabsichtigte sogar nach Palästina auszuwandern. Doch sein Gesundheitszustand ließ das nicht zu.
Kafkas Versuche selbständig in Prag zu leben waren immer nur kurze Versuche. Seine letzten Monate verbringt er mit Dora Diamant in Berlin. Franz Kafka stirbt am 03.06.1924 in einem Sanatorium bei Wien. Er wird auf dem jüdischen Friedhof von Prag begraben, über seiner Mutter und seinem Vater.
Bei einem Spaziergang über die Karlsbrücke sollte man es nicht versäumen dem privaten Prag in den Räumlichkeiten der Herget-Ziegelbrennerei am Moldauufer der Kleinseite, einen sehr Besuch abzustatten. Hier findet man alle Infos zu seinen Werken, Korrespondenzen, Tagebüchern und Handschriften.
Hier ist auch das historische Café Arco zu sehen – auf Fotos in einer Vitrine, die passenderweise in einen Kaffeehaustisch eingelassen wurde.
Booking.comVor Ort verweist lediglich ein Gemälde am Eingang darauf, dass einst der Prager Kreis deutschsprachiger Autoren um Max Brod – auch „Arconauten“ genannt – hier seinen Stammtisch hatte.
Kaffeehausgänger Kafka
„Es brodelt und kafkat, es werfelt und kischt“, soll angeblich Karl Kraus aus Wien über sie gespottet haben. Mit seinen Freunden, war Kafka gern gesehener Gast in den verschiedensten Prager Kaffeehäusern und einschlägigen Etablissements.
Viele Cafés in Prag versprechen heute noch Kaffeehauskultur mit Tradition. Die bekanntesten befinden sich in der Altstadt: Slavia, Orient und das Café Louvre, das heute mit seinen einstigen Stammgästen wie Franz Kafka und Albert Einstein wirbt.
Das weiträumige, mit rotem Marmor verkleidete Treppenhaus erinnert an die elegante Ausstattung des Cafés, in dem die feine tschechische Gesellschaft verkehrte.
Es gehörte zu dem bis heute in Prag am weitesten verbreiteten Kaffeehaustyp, der mit Speisen und Getränken eher Gasthäusern entspricht und sich der böhmischen Bierkultur nähert.
Dafür typisch ist auch die Verbindung mit einem Restaurant, wie beim 1884 gegründeten Café Slavia gegenüber dem Nationaltheater.
Kafka bevorzugte zeitlebens eine vegetarische Ernährungsweise und war den kulinarischen Genüssen nicht sehr zugetan. Zeitlebens spotteten Familie und Freunde, das er zu mager sei und endlich mehr essen sollte.
Aus einem Sanatorium, wo er viel essen muss, beklagt er sich in einem Brief an Max Brod, dass es dort deshalb mit seiner Schreiberei nur langsamer weiter gehe als in Prag, wo er weniger esse. Denn er sehe einen Zusammenhang zwischen Essen und Wenig- bzw. Nichtschreiben einerseits, Nichtessen und Schreiben andererseits.
In der Familie pflegte man die traditionelle Altböhmische Küche in Verbindung mit der jüdischen, wobei über allen der Knödel thront.
In einem frühen Brief thematisiert er seine Nahrungsaufnahme: “früh Kompott und Milch, abends um ½10 im Winter, Joghurt, Simonsbrot, Butter, Nüsse aller Art und Obst. Alles werde natürlich in Auswahl gegessen und nicht etwa durcheinander wie aus einem Füllhorn in ihn hineingeworfen. Und es wird Wasser, Obstwein, Saft, Kräutertee, Bier und Kaffee getrunken.”
Heute gibt es eine lebendige Café Szene mit Kaffeebars, Coffee Shops und Hipster Cafés. Genießen sollte man auch die tschechische süße Küche, deren Produkte ideal zum Kaffee passen. Die Kaffeehäuser bereiten ihre Süßspeisen oft selbst zu.
Im Café Montmartre in der Kettengasse, einer der engsten Gassen der Altstadt, mit seinen dunklen Antikmöbeln, spürt man noch heute den Glanz von damals.
Man hat das Gefühl, dass jeden Moment der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch zu Tür reinkommt und sich zu Kafka, Johannes Urzidil, Gustav Meyrink, Josef Waltner setzt. Hier konnte auch Jaroslav Hasek von dem guten tschechischen Bier nicht lassen, an dessen Konsum er 1923 starb.
Zu den Kaffeehäusern mit besonderer Ausstattung gehört das Grand Café Orient im Haus Zur schwarzen Mutter Gottes.
„Im Kaffeehaus isst man auf Pump, im Kaffeehaus wird gelebt, gefaulenzt, die Zeit totgeschlagen“, sagte einst die Kafka-Gefährtin Milena Jesenská.
Einst waren die Prager Kaffeehäuser die zentralen Orte der Bohème waren, in denen gelesen, diskutiert, geschrieben, Billard gespielt und viel Geschäftliches erledigt wurde.
Sie wurden in Gedichten, Dramen und Prosastücken ihrer berühmten Gäste verewigt.
Heute sind sie einer von vielen profanen öffentlichen Treffpunkten und es geht dort auch nicht „kafkaesk“ zu.
Vielerorts lebt man von seiner eigenen Legende. Franz Kafka war hier, denn: „Kafka war Prag und Prag war Kafka.“
Text: Dr. Michael Polster
Fotos: ©Chechtourism Prag, ©Prague-CIty-Tourism_magnet-and-postcard_by-Simona-Lore, ©U-Medvidku-Brewery-Hotel, ©Dr. Michael Polster (7 Bilder), ©Fotky Slavia_Slavia-Café_MUS_1253, ©Fotky Slavia_MUS-2333, ©Dr. Michael Polster, ©Fotky Slavia_Slavia-Café, ©Fotky Slavia_Slavia-Café_TES-5468, ©Hotel U Prince