In Zeiten von Politik- und Politikerverdrossenheit lohnt ein Besuch in Fürth im Ludwig Ehrhardt Zentrum. Eine spannende und unterhaltsame Zeitreise: Wohlstand für alle – was für eine Vision …
Die kleine Großstadt oder große Kleinstadt gilt als graue Maus im Schatten von Nürnberg.
Doch in diesem Fürth ist nicht nur der gerade 100 Jahre alt gewordene und immer noch aktive Henry Kissinger geboren, der sich immer wieder mal Spiele von Greuther Fürth ansah, wenn er als Außenminister der USA in Europa weilte.
In diesem Fürth ist noch ein ganz Großer geboren: Ludwig Ehrhard, dessen wirtschaftspolitische Weitsicht die Grundlagen für Deutschlands Aufstieg nach dem Krieg schuf.
Erinnern wir uns: Ludwig Erhard, 1897 in Fürth geboren, war der wohl wichtigste Wirtschaftsminister, den Deutschland je hatte. 1949 bis 1963 begleitete er dieses Amt im Nachkriegs-Deutschland.
Danach war er für drei Jahre als Nachfolger von Konrad Adenauer der zweite Bundeskanzler der Bundesrepublik.
Er war damit einer der wichtigsten Politiker der Zeit und gilt als Vater des deutschen Wirtschaftswunders, weil er die Soziale Marktwirtschaft einführte.
Der kleine Ludwig wiegt ab und verkauft. Klein-Erna bezahlt. Und Mama strahlt dazu. Wie am Obst- und Gemüsestand oder an der Bäcker- und Metzgertheke: Am Spielnachmittag lernen Kinder im Ludwig Ehrhard Zentrum grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge. Ludwig Ehrhard für Kleine: spielerisch und praxisnah.
Zeitgeschichte
Im 2018 eröffneten Ludwig Erhard Zentrum (LEZ) begleitet man diesen Mann zunächst in seinem Geburtshaus, wo der Vater auch ein Textilfachgeschäft führt. Der erste dunkle, fast schwarz gehaltene Raum zeigt: Wir sind im Ersten Weltkrieg.
Fast kaum zu glauben: Mitten im Krieg fällt Erhard bei der Offiziersprüfung durch. Er hatte zu viele Fehler im Rechnen gemacht. An diesem Beispiel spürt man gleich: Persönliche Ereignisse sind eingebunden in die Zeitgeschichte und umgekehrt. Das LEZ macht Geschichte fassbar.
Er studiert bei Franz Oppenheimer, liest bei Adam Smith über die Rolle des freien Marktes, über Wert und Mehrwert und er studiert „Das Kapital“ von Karl Marx. Sein Textilladen aber geht während der Weltwirtschaftskrise Konkurs. Erhard profiliert sich aber als Wissenschaftler in der Weimarer Republik, nimmt später von den Nazis Aufträge für sein von ihm gegründetes und geführtes Marktforschungsinstitut an. Man schickt ihn in die von Hitler besetzten Gebiete, um auszuloten, wie man diese ausbeuten kann. Mitglied in der NSDAP wird er aber nicht.
Und schon 1944 geht Erhard vorausschauend von einem verlorenen Krieg aus. Im gleichen Jahr verfasst er eine Denkschrift zur Schuldenkonsolidierung.
Vater des Wirtschaftswunders
Auf der anderen Straßenseite geht es im minimalistisch gehaltenen Neubau des LEZ um den Politiker Ehrhard im Nachkriegs-Deutschland:
Er sieht leere Schaufenster, die Währungsreform und die neue D-Mark sowie die Aufhebung der Preisvorschriften, womit über Nacht bis dahin gehortete Waren wieder auf den Markt kommen.
Den sogenannten Lichtschaltereffekt erlebt man anschaulich durch eine geschickt gemachte Lichtinstallation.
Erst ist das Schaufenster leer und auf Knopfdruck dann bestens bestückt mit Waren aller Art.
Der wirtschaftliche Aufschwung, obgleich mit Auf und Abs in der Entwicklung, festigt das Vertrauen in die Demokratie.
Ludwig Erhard gilt als Vater des Wirtschaftswunders und 1957 erscheint sein Hauptwerk „Wohlstand für Alle”, in dem er seine Vorstellungen von Sozialer Marktwirtschaft allgemeinverständlich darlegt: Wohlstand gäbe es nur durch Wettbewerb, in dem der Konsument im Zentrum stehe. Der Staat setze die Rahmenbedingungen und sorge für Rechts- und Vertragssicherheit, aber auch für eine Absicherung im Fall des Scheiterns im Wettbewerb.
Das LEZ unterstreicht diese dynamische Zeit visuell mit einer Installation: Neben einer knallroten Isetta kommt der „Konsum-Tornado“ in Schwung: mit Telefon und Radio, schönen Kleidern und „Persil“. So gelingt dem LEZ immer wieder eine passende Illustration zum Geschehen.
Das Zentrum zeigt aber auch Ludwig Erhards Ehrendoktorhüte, Talare und Staatsgeschenke, seine Antiquitäten, das Silberbesteck, teures Geschirr sowie Gemälde.
Und auf fast allen Fotos ist Erhard mit seinem Markenzeichen zu sehen: mit einer qualmenden Zigarre – von Erinnerungsfotos mit John F. Kennedy oder Charles de Gaulle einmal abgesehen.
So erfolgreich Erhard als Wirtschaftsminister war, so glücklos ging seine Kanzlerschaft wegen innerparteilichen Intrigen zu Ende. Die Wiege der Sozialen Marktwirtschaft wird trotzdem für immer in Fürth stehen.
Info: ludwig-erhard-zentrum.de, Spielnachmittag, immer am letzten Wochenende im Monat
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Text und Fotos: © Jochen Müssig