Draußen auf dem Bodden kräuseln sich kleine, dunkelblaue Wellen. Das Schilf steht im winterlichen Graubraun. Doch ein feiner Hauch von Grün liegt über den kräftigen Ästen der Erlen am Schilfgürtel. Im Nordwesten der Insel Rügen zeigt sich der Frühling in vielfältigen Nuancen.
Die Insel Rügen ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Dennoch bleiben der Nordwesten und der Norden der Insel von den Urlauberströmen fast verschont. Mag es daran liegen, dass diese Landschaft ihre Reize erst auf den zweiten Blick offenbart oder an der Entfernung zur Ostsee?
Denn hier sind die Boddengewässer näher als die Ostsee. Oder ist das bekannte Binz einfach weit genug entfernt?
Apropos Entfernungen: Die werden von den Urlaubsgästen oftmals unterschätzt: Die West-Ost-Ausdehnung der Insel beträgt immerhin 43 Kilometer. Von Schaprode, einem kleinen, gepflegten Ort an Rügens Westküste, fährt man mit dem Auto etwas 20 Minuten nach Bergen, in die Inselhauptstadt, zentral in der Inselmitte gelegen. Für die Strecke Schaprode-Binz braucht man etwa 45 Minuten.
Im Nordwesten der Insel Rügen – das ist die Gegend um die Orte Gingst, Neuenkirchen, Trent, Schaprode – wird das Bild bestimmt vom zarten Grün der Weizenfelder, kräftigen Alleen und dem fast immer am Horizont sichtbaren Blau des Bodden. Denn kein Ort auf Rügen ist mehr als 8 Kilometer vom Wasser entfernt – das sagen jedenfalls die Rüganer.
Auf den Wander- und Radwegen, auch entlang der Trampelpfade am Bodden, bieten sich immer wieder neue Ausblicke. Der Schilfgürtel gibt einsame, kleine Sandbuchten frei, Schlehenbüsche posieren in reinem Blütenweiß und hinter dem Blau des Boddens ist die nächste Landzunge sichtbar.
Vielleicht sind noch die markanten Rufe verspäteter Kraniche zu hören? Im Februar und März rasten sie hier, bevor sie weiter nach Skandinavien ziehen.
Schwimmende Frühlingsboten
Ein jährlich wiederkehrendes Naturphänomen erfreut die Rüganer, wie sich die Einheimischen nennen, denn dann wissen sie, dass der Frühling bald beginnen wird: Die Heringe schwimmen in die Boddengewässer.
Bodden ist die Bezeichnung für Küstengewässer, die zwar Verbindung zur Ostsee haben, aber flacher als diese sind und meist von Schilf umsäumt. Das „Wandern“ der Heringe passiert in manchen Jahren bereits im Februar, manchmal erst im März.
Die Fische kommen dann in großen Schwärmen zum Laichen in die Boddengewässer, die ein oder zwei Grad wärmer als die Ostsee sind. Sie laichen in den tiefen Stellen des Boddens.
Die meisten Angler wissen genau, wo sich diese befinden. Derweil wundern sich Außenstehende über die „geselligen“ Männer, die nah beieinander an bestimmten Stellen im Bodden angeln, von Booten aus und in Wathosen.
Die Heringszeit ist im vollen Gange! Sie dauert nur wenige Wochen und danach wandern die Heringe zurück in die Ostsee. Ihnen folgen in den Bodden die Hornhechte, Fische mit einem aalförmigen Körper und einem auffallend schnabelartigen Maul. Ihre Eigenart offenbart sich beim Kochen und Braten: Die Gräten sind hellgrün.
Die Insel Rügen auf den zweiten Blick
Die Ortschaften wirken in dieser Jahreszeit besonders verschlafen. Dennoch laden kleine Kostbarkeiten ein, entdeckt zu werden.
So ist die St.-Katharinen-Kirche in Trent eine der ältesten auf Rügen, erstmals erwähnt um 1318. Die auf Feldsteinen erbaute Backsteinkirche gab selbst in den letzten Jahrzehnten noch Geheimnisse preis: Unter den weiß gestrichenen Innenwänden wurde barocke Malereien entdeckt und konnten teilweise freigelegt werden.
In der Nähe von Neuenkirchen bietet sich vom Grümbke-Turm ein weiter Blick über die Landschaft mit der sich schlängelnden Uferlinie, bewaldeten Hügeln und weitläufigen Feldern. Johann Jacob Grümbke (1771-1849) war Historiker und Geograph und seinerzeit begeistert vom Ausblick an dieser Stelle, auf Hoch Hilgor, wo heute der Turm steht.
Der Ort Schaprode ist für viele Gäste nur der Zwischenstopp auf dem Weg zur Insel Hiddensee. Dennoch lohnt sich ein kleiner Spaziergang durch die gepflegten Straßen, gesäumt von niedrigen Reetdachhäusern, entlang des kleinen Sandstrands oder durch den Hafen.
Gemütlichkeit und Ruhe finden Urlauber auch in Wiek auf der Halbinsel Wittow. Entspannte Atmosphäre am Hafen und kurz innehalten – bevor man weiterfährt an die meist stürmische Küste im Nordwesten von Rügen.
Die Steilküste ist hier nicht weiß wie die bekannten Kreidefelsen bei Saßnitz. Die Kraft der Natur und des Wassers ist deutlich sichtbar, vor allem nach stürmischen Wintertagen: viele Abbrüche im lehmigen Erdreich und kleine Rinnsale, die leise zwischen Sand und Steinen versickern. Vielleicht findet sich hier ein Hühnergott, ein Stein mit einem durchgehenden Loch. Er wird Glück bringen!
Zum Weiterlesen:
http://www.nationalpark-vorpommersche-boddenlandschaft.de
und eine besondere Unterkunft finden Sie hier.
Text: Heike Sievers
Bilder: Heike Sievers / Tourismuszentrale_Rügen_Christian_Thiele