Wer Paragleiten, Drachenfliegen oder Fallschirmspringen will, findet ein unüberschaubares Angebot an Flugschulen, Workshops oder Wochenend-Trips vor. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass eine fundierte Ausbildung bei diesen Sportarten unerlässlich ist. Die Fluglehrer meines Vertrauens fand ich im österreichischen Bach im Lechtal.

Unzählige Legenden ranken sich um die Sehnsucht der Menschen, fliegen zu können. Was für die meisten bisher auf den Blick durch das Bullauge des Flugzeugs beschränkt war, ist für eine immer größer werdende Szene schon zur Erfahrung ohne Netz und doppelten Boden geworden.

Denn der Traum vom Fliegen, sei es mit Drachen oder Gleitschirm, hat sich in den letzten Jahren vom Extremsport zu einer Freizeit­beschäftigung gewandelt, die jedem zugänglich ist.

Das professionelle Team um Radomir Gabric und André Haas bietet in diesem Bereich eine qualifizierte Ausbildung mit einem Höchstmaß an Sicherheit bei maximalem Flugspaß.

Erstmal büffeln

Vor den ersten Kontakt mit dem Flugschirm hat das Lernprogramm des onair Paragliding Centers Österreich den theoretischen Unterricht gesetzt.

Natürlich darf ­dabei die Wetterkunde auf dem Stundenplan nicht fehlen. Das beginnt beim Aufbau der Atmosphäre und geht über die Wolkenbildung bis hin zur für Paragleiter notwendigen Thermik.

Bis zur Absolvierung des Sonderpilotenscheins muss sich der Aspirant einen guten Blick für die bestehende Wetterlage aneignen.

Die Grundlage dafür vermittelt man mir zunächst in einem sechstägigen Grundkurs. Luftfahrtvorschriften und Erste Hilfe gehören ebenso zum ­Lernstoff wie Gerätekunde und die Grundlagen der Aerody­namik.

Start mit Hindernissen

Im praktischen Teil bekommt ­jeder Schüler den passenden Schirm und das Gurtzeug für das jeweilige Körpergewicht ­zugeteilt – wer hier mogelt, tut sich keinen Gefallen.

Dann geht es gemeinsam zum Übungshang im benachbarten Elbigenalp, dem Geburtsort der berühmten Künstlerin Anna Stainer-Knittel, besser bekannt als Geierwally.

Auf halber Höhe des Hangs werden die Schirme ausgebreitet und die Leinen freigelegt – das ist besonders wichtig, denn davon hängt es ab, ob man erfolgreich abhebt.

In komisch anmutenden “Tro­ckenübungen” präge ich mir gemeinsam mit meinen Mitschülern erst einmal die Be­wegungsabläufe ein.

Geduldig wiederholen die Ausbilder die Eckpunkte: Grundstellung – mit den Armen nach hinten durchgestreckt anlaufen, Arme nach oben, Kontrollblick zum (imaginären) Schirm, beschleunigen.

Fliegen kann jederDann erst ist es Zeit, das Gurtzeug anzulegen und mit dem Schirm zu verbinden. Beim Anlaufen zieht sich der Schirm auf, und ich spüre zum ersten Mal den Widerstand des etwa fünf Meter großen Flügels.

Jetzt folgt die kritische Phase, die über Erfolg oder Startabbruch entscheidet und von den Aufforderungen über Funk begleitet wird: “Laufen! Laufen! Laufen!”, “Bremse ziehen!” oder ein enttäuschendes “Abbruch!”.

Wie Sysiphos fühle ich mich, wenn ich nach einem missglückten Start wieder den Hügel von Neuem erklimmen, den Schirm ausbreiten und die zahllosen Seile entwirren muss.

Doch es gehört zum Credo des Teams, dass kein Schüler, der noch nicht dazu fähig ist, einen Höhenflug ab­solvieren darf.

Höhenflüge

Die Jöchelspitze, auf der sich drei Startplätze befinden, ist der “Hausberg” der Flugschule. Vom Startplatz auf etwa 1.800 m Höhe gehen die fünf Flüge, die mich noch vom Abschluss des Grundkurses trennen, hinunter zum Landeplatz in Bach.

Am Startplatz befürchte ich vor Aufregung, die so häufig geübten Bewegungsabläufe vergessen zu haben.

Doch alles läuft wie am Schnürchen, bis … nach einer durch und durch erfolgreichen Beschleunigungsphase der Aufwind plötzlich meinen Schirm und mich mit ihm schnell einige Meter in die Höhe und vom Startplatz wegträgt.

Einige Sekunden brauche ich, um zu ­realisieren, dass ich wirklich gestartet bin und mich zum ersten Mal im “freien Flug” befinde.

Nach einer kurzen Funkpause höre ich meinen Fluglehrer mit beruhigender Stimme: “Du kommst gut. Leichte Korrektur nach links. Entspann’ dich und genieß den Flug.”

Korrekturen an den Leinen und Verlagern des Gewichts in die gewünschte Flugrichtung reichen aus, um zu steuern. Fasziniert sehe ich hier zum ersten Mal aus etwa 700 m Höhe die Häuser des idyllischen Lechtals winzig von oben und den Lech als kleines silbriges Band unter meinen Füßen.

Fliegen kann jeder
Auf einer Länge von 62 km erstreckt sich der Naturpark Lechtal von der ­Gemeinde Steeg bis zur Gemeinde Vils an die süddeutsche Grenze.

Ich genieße die absolute Ruhe, die nur hin und wieder durch Funksprüche unterbrochen wird und mich direkt über der Flugschule dazu auffordern, mit dem Kreisen zu beginnen.

Das ist notwendig, um Höhe abzubauen und etwa 100 m über dem Boden in die Landephase übergehen zu können.

Während der vier Richtungswechsel nähert sich der Landeplatz in der Größe eines Fußballfeldes. Mit durchgezogenen Bremsleinen lande ich auf dem gut gepolsterten Hintern – schließlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

Auch ich habe es nach fünf Höhenflügen geschafft, eine ordentliche Landung zu meistern, und halte nun das Zertifikat meines Grundkurses in Händen.

 

Fliegen kann jeder
Ich lande sicher…

Die Erlaubnis, alleine abheben zu dürfen, ist aber erst durch 35 Höhenflüge und eine weitere Theorieprüfung erreicht.

Mich ­jedenfalls wird nichts davon ­abhalten, im nächsten Sommer wieder in die Lüfte zu gehen, um mit den “Geiern” über dem Geburtshaus von Anna Stainer-Knittel im Lechtal zum Sonderpilotenschein zu kreisen.

 

Text: Alexander Stark
Foto: Airsport Tirol / Foto: Alpenrose

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