Die “german hall of fame” nimmt bei Donaustauf eine Sonderstellung an der Straße der Kaiser und Könige ein. Die Walhalla wurde vor 175 Jahren eingeweiht. Und sie erinnert an die Zeit, als Bayern den griechischen König stellte. Das Jubiläum wurde gestern abend mit einem musikalischen Prachtfeuerwerk gefeiert.
Manch Reisender glaubt zu träumen.
Ist der in der so gar nicht mediterranen Donaulandschaft thronende Tempel echt?
Oder ist es eine aus Athen nach Bayern reichende Luftspiegelung?
Doch dieses Gebäude aus tonnenschwerem Kalkstein auf dem Bräuberg bei Donaustauf ist die “Ruhmeshalle der Deutschen” Walhalla – tatsächlich gebaute Wirklichkeit.
Auch wenn sie – je nach Perspektive – grotesk oder fantastisch anmutet.
Der neoantike Prunkbau klassisch griechischer Bau- und Denkungsart ist womöglich weniger aus der Zeit gefallen, als auf den ersten Blick scheinen mag.
Ein Herz für die Antike
Die Kultstätte für Deutschlands Dichter und Denker entspricht der Faszination für kulturelle Leitfiguren Anfang des 19. Jahrhunderts.
Bayernkönig Ludwig I. begeisterte sich für das antike Griechenland und seine grandiose intellektuelle Vergangenheit. Mit seiner hellenischen Leidenschaft passt er ganz ins neoklassizistische Bild seiner Zeit. Die Idee zum “teutschen Ehrentempel” kam dem romantischen Wittelsbacher so auch bei einer Griechenlandreise.
Seine Passion für die Vergangenheit bringt Ludwig nicht nur mit der Walhalla zum Ausdruck. Sondern auch mit der Wiederbelebung mittelalterlicher Adelstitel und vor allem mit zahlreichen Bauwerken, die aus dem Münchner Stadtbild nicht wegzudenken sind. Darunter das Siegestor, die Staatsbibliothek, die Alte Pinakothek etc.
Wie viele seiner Zeitgenossen empfindet der traditionsbewusste Monarch die endgültige Auflösung des Heiligen Römischen Reiches (deutscher Nation) 1806 als „Teutschlands tiefste Schmach”. Auch die Vorherrschaft der Franzosen unter Napoleon in weiten Teilen Deutschlands lässt sein patriotisches Herz bluten.
In die nationalistische Ecke stellen sollte man Ludwig I. jedoch nicht. Der umfassend gebildete Kunstliebhaber ist in Alter Geschichte bewandert, in der französischen, italienischen und spanischen Literatur zuhause und beherrscht Russisch.
Und was die Platzzuweisungen in der Walhalla betraf, kapriziert sich Ludwig I. weniger auf die Kriegsherren, sondern vielmehr auf Humanisten wie Goethe, Schiller und Erasmus von Rotterdam.
Schon 1807, noch als Kronprinz, gab Ludwig serienweise Büsten „rühmlich ausgezeichneter Teutscher“ in Auftrag, wie sie Jahrzehnte später die Walhalla zieren sollten.
1810, kurz nach seiner Hochzeit auf der Münchner Theresienwiese, schickt er den archäologisch versierten Architekt Carl Haller von Hallerstein mit einem Stipendium nach Athen. Er soll auf der Akropolis Baustudien am Parthenon anstellen.
Gut Ding braucht Weile
Geschlagene fünf Jahre später legt der Stipendiat gut zwei Dutzend Zeichnungen vor. 1819 erwirbt Architekt Leo von Klenze die Skizzen des inzwischen verstorbenen Haller von Hallersteins. Er nutzt sie als planerisches Fundament für seine Walhalla-Entwürfe.
Doch die Verwirklichung des Baus lässt auf sich warten. Die Grundsteinlegung für den „Ruhmestempel” erfolgt erst 1830, der Baubeginn ein Jahr darauf. Die Bauzeit für den fußballfeldgroßen Architekturkoloss mit 125 Meter Länge und stolzen 55 Meter Höhe zieht sich bis 1842. Weitere 20 Jahre vergehen bis zur förmlichen Eröffnung 1862.
Otto, König von Griechenland
Als diese endlich vollzogen wird, hat der Bayernkönig bereits abgedankt und ist längst an anderen Dingen interessiert.
Für die hellenisch-bajuwarischen Beziehungen ist das Jahr 1862 noch aus einem anderen Grund bedeutsam. Es ist das Jahr, in dem Ludwigs Sohn Otto als König von Griechenland abdanken muss und heim nach Bayern ins Exil geht.
Das ist der Abschluss einer Episode, die sich in der Geschichte ähnlich einmalig ausnimmt wie die Walhalla. Sie beginnt, als Griechenland 1830 seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich gewinnt, 1831 aber nach Ermordung seines ersten Regenten kopflos dasteht.
Russland, Frankreich und Großbritannien bringen die griechische Nationalversammlung dazu, einen europäischen Fürsten zum König zu wählen.
Nach den Absagen zweier Wunschkandidaten fällt die Wahl auf den noch minderjährigen Otto. Er behält seine Apanage als bayerischer Prinz und zieht mit 3.500 bayerischen Soldaten und einer Handvoll Verwaltungsfachleute in Athen ein.
Bavarokratie mit Reinheitsgebot
In Passau schifft sich einer von Ottos Ministern, Rudhard, direkt nach Athen ein. Allen Klischees entsprechend will er ebensowenig auf das bayerische Bier verzichten wie seine Kollegen. Auf der Donauschiffsreise versorgt sich Rudhard aus seinem mitgeführten Bierfass.
In Athen lassen die weißblauen Beamten dann gleich eine große Brauerei mit dazu passenden Bierschwemmen errichten. Damit verwandeln sie die griechische Metropole “in eine Vorstadt Münchens”, wie der geheime Ministerial-Kanzlei-Konzipist Wastlhuber spitzzüngig bemerkt.
Die “Bavarokratie” schafft mit zahlreichen Gesetzen und Vorschriften – unter anderem gilt das bayerische Reinheitsgebot für Bier – die Grundlagen für einen modernen Staat. Mit ihrem absolutistischen Amtsverständnis bringen sie aber die griechische Bevölkerung gegen sich auf.
Otto hingegen wird bis zum Tod mit den überlieferten letzten Worten “Griechenland, mein Griechenland, mein liebes Griechenland” wie sein Vater an der Begeisterung für alles Hellenische festhalten.
Die Walhalla: ein kolossales Erbe
Mit der Walhalla hinterlässt Ludwig seinen Nachfahren nicht nur sein mit Abstand teuerstes Projekt, sondern auch jede Menge Herausforderungen.
Die Idee, in der sogenannten “Halle der Erwartung” im Unterbau die Skulpturen noch lebender Dichter und Denker zuerst auszustellen. Nach deren Tod sollten sie dann in feierlicher Prozession in den “Olymp” im Erdgeschoß hinauf getragen werden. Dies wird jedoch noch zu Ludwigs Lebzeiten verworfen.
Doch fortan stellt sich die Frage, wer künftig Anrecht auf einen Platz in der Walhalla haben wird. Wie geht eine republikanische Demokratie mit einer derart monumentalen Hinterlassenschaft um, deren Imagewerte durch den Nationalsozialismus in schwerste Mitleidenschaft gezogen wurde.
Wer darf noch rein?
Im Ringen um den Heldenstatus verschiedener Geistesmenschen bekommt schon fünf Jahre nach der Eröffnung Martin Luther nachträglich seinen Platz in der Walhalla.
2003 wird die Büste der blutjungen Widerstandskämpferin Sophie Scholl an den prominenten letzten Platz neben der Tür gestellt.
2007 folgt der Mathematiker Carl Friedrich Gauß in die Walhalla.
2009 die Büste der in Auschwitz ermordeten Nonne, Philosophin und Frauenrechtlerin Edith Stein.
Durchaus pikant ist die bis dato letzte Berufung in die Walhalla. Mit Heinrich Heine wird 2010 einer ihrer schärfsten Kritiker im Tempel am Donauufer heimisch.
Spannend bleibt, wer ihm künftig noch aller Gesellschaft leisten wird: Vier Plätze sind noch frei.
Quelle: ARGE Die Donau – Straße der Kaiser und Könige
Fotos: Walhalla Sonnenaufgang © Andreas Beiderbeck / Walhalla Blick auf die Donau © Stefan Gruber / Walhalla Säulengang © Stefan Gruber / Walhalla Sonnenaufgang © Andreas Beiderbeck Photography / Feuerwerk © A. Heinrichsdobler